Tawaf

Die siebenmalige Umrundung der Kaaba, angefangen auf der Höhe des Hadschar al-Aswad („der Schwarze Stein“ an der Kaaba), wird Tawaf genannt. Jede einzelne Umrundung wird als Schawt bezeichnet. Der Koranvers „…und (sie sollen) die Umrundung des Bayt al-Atik (der Kaaba) vollziehen.“ (al-Hadsch, 22/29) besagt sowohl, dass der Tawaf ein Gebot Allahs ist, als auch, dass er um die Kaaba herum vollzogen werden muss.  
Bei ihrer Ankunft bei der Kaaba, vollziehen diejenigen, die das Hadsch al-Ifrad beabsichtigen, den Tawaf al-Qudum (Ankunfts-Tawaf), und diejenigen, die das Hadsch at-Tamattu oder das Hadsch al-Qiran beabsichtigen, den Tawaf al-Umrah. Hiernach verrichten sie freiwillig als Nafila so viele Tawaf, wie ihnen möglich ist. Pilger vollziehen zudem den Tawaf az-Ziyarah, welcher nach der Arafat-Waqfa Fardh ist, und bei Vollendung ihres Hadsch vor dem Verlassen Mekkas ein Abschieds-Tawaf. 
Derjenige, der die Umrundung der Kaaba beabsichtigt, muss eine gültige rituelle Gebetswaschung (Wudhu) haben und sollte sich nach besten Kräften darum bemühen, die Tawaf zu Fuß zu vollziehen. Der Tawaf wird mit der Absichtsbekundung begonnen, welche vor der Höhe des Hadschar al-Aswad gesprochen werden muss. Der Hadschar al-Aswad ist ein Stein, der den Anfangspunkt des Tawaf aufzeigt. Es wird überliefert, dass dieser Stein aus dem Paradies stammt, anfänglich weiß war und aufgrund der Sünden der Menschen schwarz wurde. (Tirmidhi, Hadsch, 49) Außerdem wurde angegeben, dass er am Jüngsten Tag bei Mahschar1 diejenigen bezeugen wird, die ihn (bei der Umrundung der Kaaba) begrüßten. (Tirmidhi, Hadsch, 113)
Zu Beginn des Tawaf und am Anfang jeder Umrundung (Schawt) wird der Hadschar al-Aswad aufgesucht/begrüßt (Istilam). Der Gesandte Allahs küsste den Hadschar al-Aswad, wenn sich die Gelegenheit hierfür bot, anderenfalls grüßte er ihn aus der Ferne und fing somit seinen Tawaf an. (Bukhari, Hadsch, 48, 60) Damit niemandem geschadet wurde, riet er seinen Gefährten davon ab, in die Menge zu stürzen, um den Hadschar al-Aswad zu küssen. (Ibn Hanbal, I, 28) Angesichts dem Gedränge, das sich heutzutage an der Ecke des Hadschar al-Aswad bildet, wird ersichtlich, wie trefflich diese Mahnung des Propheten ist. Bedeutend ist nicht der Stein, sondern die Befolgung der Sunnah2 des Propheten Muhammed (saw.). So bestätigt beispielsweise auch ʿUmar (ra.) diese Tatsache, indem er bei der Begrüßung des Hadschar al-Aswad sprach: „Ich weiß, du bist ein Stein. Du kannst weder schaden noch nützen. Hätte ich nicht gesehen, dass der Gesandte Allahs dich berührte, so würde ich dich nicht anrühren.“ (Bukhari, Hadsch, 57)
Der Muslim beginnt den Tawaf, indem er den Hadschar al-Aswad begrüßt sowie sein Gefolgschafts-und Glaubensversprechen an Allah erneuert. Er nimmt die ­Kaaba zu seiner Linken, verspürt, wie sein Herz und die Kaaba zu einem Ganzen zusammenschmelzen und beginnt sein ­Tawaf mit der körperlichen Nähe zur ­Kaaba und der seelischen Nähe zu seinem Herrn. 
Der Tawaf ist die Niederwerfung (Sadschdah) des Herzens, er ist die Himmelfahrt (Miradsch) der Seele und die Bedeutung der Existenz!
Der Tawaf ist eine Art Ritualgebet. So sprach der Prophet Muhammed (saw.): „Die Kaaba zu umrunden ist wie das Verrichten des Ritualgebets. Bloß könnt ihr beim Tawaf sprechen. Derjenige, der während des Tawafs redet, soll lediglich Gutes sprechen.“ (Tirmidhi, Hadsch, 112) Aus diesem Grund sollte der Gläubige, genau wie beim Ritualgebet, auch während des Tawafs mit dem Bewusstsein, dass er sich in der Gegenwart Allahs befindet, respektvoll handeln und sich von jeglichen Aussagen und Taten fernhalten, die nicht mit der spirituellen Atmosphäre des Tawaf übereinstimmen. Er sollte jeden Moment des Tawaf mit Dua (Dank- und Bittgebeten), Dhikr (das Gedenken und Erwähnen Allahs), Tasbih (der Lobpreisung Allahs) und Tahlil (das Sprechen von „La ilaha illallah“) verbringen. Er sollte versuchen zu verstehen, dass jede Umrundung ein spiritueller Aufstieg der Seele vom Materiellen zum Immateriellen, vom Weltlichen zum Jenseitigen ist. 
Tawaf bedeutet zu rotieren. Die Rotation ist die gemeinsame Bewegung des ganzen Universums. Der Pilger schließt sich dieser Rotation, welche vom kleinsten Atom bis hin zu den Galaxien jeden Moment im Universum fortbesteht, mit Hingabe und Liebe an und beteiligt sich am Tasbihat3 der Existenz. 
Den Tawaf zu beginnen bedeutet, in das Meer der Gnade und Gunst Allahs (Rahmat) einzutauchen. Es bedeutet, zu einem Tropfen in der Unendlichkeit zu werden und im Ozean der Menschen zu münden. Während des Tawaf erkennt der Pilger die Reflexion der Einheit in der Vielfalt. Tausende und Millionen von Muslimen verschiedener Hautfarbe, Herkunft, Sprache und Kultur verschmelzen während dem Tawaf regelrecht zu einem Ganzen. Im Bewusstsein der Geschwisterlichkeit sollten Muslime während und außerhalb des Tawafs vor Verhaltensweisen zurückscheuen, die verletzend, störend, grob oder gar beleidigend sein könnten, und die Achtung und den Respekt, den sie der Kaaba aufweisen, auch füreinander aufzeigen. So sprach der Prophet Muhammed, als er die Kaaba umrundete: „Oh Kaaba! Wie schön du bist! Wie schön dein Duft ist! Wie erhaben du bist! Wie ehrenwert du bist! Jedoch schwöre ich bei Allah, in Dessen Hand mein Leben liegt, bei Allah ist die Ehrwürdigkeit des Gläubigen, mit seinem Leben und seinem Besitz, größer als deine Ehrwürdigkeit.“ (Ibn Madscha, Fitan, 2)
Bei der Kaaba befindet sich die Stätte des Propheten Ibrahim/Abraham (as.). (Al-i Imran, 3/97) Es wurde als angemessen erachtet, dass das Ritualgebet, welches nach der Vervollständigung des Tawafs verrichtet wird, gemäß dem Koranvers „…Nehmt Ibrahims Stätte als Gebetsplatz!“ (al-Baqara, 2/125) wenn möglich in der Nähe des Maqam Ibrahim verrichtet wird. Der Prophet Muhammed verrichtete hier ein aus zwei Gebetseinheiten bestehendes Ritualgebet, in welchem er die Suren al-Kafirun und al-Ihlas rezitierte. (Muslim, Hadsch, 147)
Der Maqam Ibrahim ist ein Stein, auf dem sich die Fußstapfen des Propheten Ibrahim befinden, den der Propheten Ibrahim bei der Erbauung der Kaaba für das Gerüst verwendet haben soll oder auf den er gestiegen sein soll, um die Menschen zur Pilgerfahrt aufzurufen. Unter Beachtung des Andrangs beim Tawaf in der heutigen Zeit wird ersichtlich, dass es kein geeignetes Verhalten ist, zu versuchen, an diesem Ort, der sich im Tawaf-Bereich befindet, das Ritualgebet zu verrichten. 
Darüber hinweg, dass der Maqam Ibrahim ein Stein ist, ist er ein großes Symbol. Gläubige sollte nicht hinter den Fußstapfen des Propheten Ibrahim auf diesem Stein her sein, sondern die Gegebenheiten und Wahrheiten verfolgen, die diese Spuren verkörpern. Der Maqam Ibrahim ist die Stätte der Ergebenheit und Folgsamkeit. Es ist der Ausdruck der unwidersprochenen Befolgung der Befehle Allahs. Als dem Propheten Ibrahim (as.) befohlen wurde, seine Ehefrau und sein Kind in diese einsame Wüste zu führen und dort zurückzulassen, als er sein Kind als Opfer darbieten sollte, als die Zeit kam und er aufgefordert wurde, das Baytullah zu erbauen und nach der Erbauung die Menschen zur Pilgerfahrt aufzurufen, kam er all diesen Befehlen nach, ohne zu widersprechen. Es ist die Aufgabe des Muslims, sich am Maqam Ibrahim die Treue, Folgsamkeit und Ergebenheit des Propheten Ibrahim als Wegweiser zu nehmen. 
Nach dem Tawaf-Ritualgebet begibt sich der Pilger für das Sa’y nach Safa. 


1 Mahschar ist der Ort, an dem sich alle Lebewesen am Jüngsten Tag nach ihrer Wiederauferstehung versammeln werden, um zur Rechenschaft gezogen zu werden.

2 Die Sunnah beschreibt die vorgelebte Religionspraxis und das beispielhafte Leben des Propheten als Vorlage des koranischen Lebens. 
3 Tasbihat bedeutet, Allah mit bestimmten (lobpreisenden) Worten zu erwähnen, um Ihm gegenüber Dank auszusprechen und Ihm zu gedenken.

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