Wie wird der gute Charakter erlangt?

Der Mensch kommt bei seiner Geburt nicht als gut oder böse zur Welt. Bei der Aneignung von schlechten Verhaltensweisen oder eines guten Charakters spielt die Erziehung und Bildung eine wichtige Rolle. Als der Ort, an dem die Erziehung beginnt, ist die Familie das erste Umfeld, in dem die gute Moral erlernt wird. Aus diesem Grund müssen Eltern ihren Kindern, wenn sie ihnen grundlegende Dinge wie das Essen und Trinken oder das Saubersein beibringen, auch religiöse, individuelle und gesellschaftliche Werte lehren. Moralwerte wie ehrlich und aufrichtig zu sein, nicht zu lügen, nicht zu bezichtigen, die Verschwendung zu meiden und den Menschen Respekt zu erweisen sind Werte, an die das Kind schon in der Lern- und Erziehungsphase in der Familie herangeführt werden muss. 
Der beste Weg für die moralische Erziehung ist, ein Vorbild zu sein. Ratschläge der Eltern, etwas zu tun oder zu unterlassen, reicht nicht aus, um Kindern einen guten Charakter einzugeben. Eltern, die ihren Kindern die gute Moral beibringen möchten, müssen das Verhalten, das sie von ihrem Kind erwarten, zunächst selbst aufzeigen und sich von den Handlungen, von denen sie es fernhalten möchten, an erster Stelle selbst distanzieren. Lügende Eltern können ihrem Kind nicht beibringen, dass die Lüge etwas Schlechtes ist. Desgleichen können geizige Eltern ihre Kinder nicht dazu bringen, sich moralische Eigenschaften wie Großzügigkeit, Hilfs- und Teilbereitschaft anzueignen. 
Durch das Vorleben zu lehren ist zugleich eine der Erziehungsmethoden des Propheten Muhammed (saw.). Dass Propheten und heilige Bücher von Allah gesandt wurden, um die Menschen zu erziehen, zeigt, dass das Verhalten des Menschen durch die Erziehung veränderbar ist. Denn die Propheten waren mit ihrem guten Ahlaq ein Vorbild für die Menschen und erzogen ganze Völker. 
Moralische Werte, die in der Familie erlangt werden, werden dazu führen, dass Individuen mit einem guten Charakter zum Vorschein treten. Individuen mit einem guten Charakter hingegen werden erwirken, dass eine in moralischer Hinsicht ideale und erwünschte Gesellschaft entsteht. Der Hadith „Kein Vater kann seinem Kind eine wertvollere Gabe schenken als das gute Benehmen.“ (Tirmidhi, Birr, 33) drückt die Wichtigkeit der moralischen Erziehung in der Familie auf die beste Weise aus. 
Zu wissen, dass etwas moralisch gut ist, erfordert, diese Sache zu tun. Zu wissen, dass etwas gut ist und trotz dessen das Schlechte zu tun ist ein Widerspruch. Dies zeigt, dass es in Hinsicht auf die Moral nicht ausreicht, zu wissen oder zum Ausdruck zu bringen, dass eine Handlung schlecht ist. Demnach ist das, was zählt, die Handlung durchzuführen, von der bekannt ist, dass sie gut ist, und die Handlung, die als schlecht gilt, zu unterlassen. Diese Tatsache zeigt uns, dass in moralischer Hinsicht die Handlung wichtiger als das Wissen ist. Bei der Moralerziehung sollte insbesondere dieser Grundsatz beachtet werden. Das hauptsächliche Ziel der Moralerziehung ist nicht, dass das Kind die guten und schlechten Verhaltensweisen kennt, sondern dieses Wissen anwendet und in sein Verhalten einbringt. 
Auch die Gesellschaft, in der die Menschen leben, spielt dabei eine Rolle, ob Menschen gute oder schlechte Moraleigenschaften besitzen. Individuen, die in einer Gesellschaft mit guten Moraleigenschaften aufwachsen, verinnerlichen auch selbst diese moralischen Tugenden. Auf die gleiche Art und Weise beeinflusst auch der Freundeskreis der Kinder, ob sie sich gute oder schlechte Moraleigenschaften aneignen. Der Ausspruch „Sag mir, wer dein Freund ist, und ich sage dir, wer du bist“ bringt zum Ausdruck, dass die Moraleigenschaften einer Person gemäß ihres Freundeskreises an Form gewinnen. Aus diesem Grund sollte jeder bei der Wahl seines Freundeskreises Acht geben und insbesondere Eltern sollten darauf achten, mit wem sich ihre Kinder anfreunden. Uns der schlechten Moraleigenschaften und Fehler unseres Freundeskreises oder der Gesellschaft bewusst zu werden und zu versuchen, uns von diesen fernzuhalten, wird uns dabei helfen, den guten Ahlaq zu erlangen. 
Als ein Lebewesen im Besitz von Verstand und Willenskraft kann der Mensch durch seine eigene Bemühung und Bestrebung seinen Ahlaq verbessern. (Ghazali, Ihya, III, S. 134-137) Auf diese Weise kann der Mensch üblen Gefühlen wie der Überheblichkeit, Arroganz, der Geringschätzung anderer und der Missgunst zuvorkommen; und die Möglichkeit erlangen, durch gute Handlungen wie dem Spenden, der Hilfeleistung für Bedürftige und der Freundlichkeit gegenüber Mitmenschen seinen Ahlaq zu verbessern. Denn Verhaltens- und Handlungsweisen, die – auch wenn sie selten aufgezeigt werden – regelmäßig vollzogen werden, werden zur Angewohnheit. Als der Prophet „Welche ist die schönste der Taten bei Allah?“ gefragt wurde, antwortete er: „Die, die, auch wenn sie wenig ist, beständig ist.“ (Muslim, Musafirin, 216) So wie eine Person, die jeden Tag die gleiche Arbeit macht, in dieser Arbeit Geschick und Fingerfertigkeit erlangt, verwurzeln sich auch die Handlungen, die ständig wiederholt werden, im Charakter der Person. 
Der Vers „Was aber jemanden angeht, der den Stand vor seinem Herrn gefürchtet und seiner Triebseele die bösen Neigungen untersagt hat, so wird der Paradiesgarten ihm Zufluchtsort sein.“ (an-Nazi’at, 79/40-41) zeigt, dass die Person durch eigene Bemühungen ihre Gefühle und Handlungen unter Kontrolle halten kann. Hingegen sollte ein Muslim, der im jungen Alter keine gute Erziehung genießen konnte und in moralischer Hinsicht manche schlechten Verhaltensweisen aufzeigt, die Hoffnung nicht aufgeben. Er sollte nicht vergessen, dass er – unabhängig von seinem Alter - sein Verhalten verbessern und sich den guten Ahlaq aneignen kann. In diesem Rahmen sollte er mit Zielstrebigkeit, Entschlossenheit und Geduld versuchen, die schlechten Verhaltensweisen aufzugeben. Auch sollte ein Muslim – selbst, wenn er viele Sünden und Fehler beging - nicht vergessen, dass Allah nachsichtig ist, es liebt, Seinen Dienern zu verzeihen und die Tawbah, also die Reue für begangene Taten und die Bitte um Vergebung, Seiner Diener annimmt. Unser Herr gibt im heiligen Koran wie folgt bekannt, dass wir in dieser Angelegenheit keineswegs hoffnungslos sein sollten: „Sprich: Oh Meine Diener, die ihr gegen euch selbst maßlos gewesen seid! Verliert nicht die Hoffnung auf Allahs Barmherzigkeit! Gewiss, Allah vergibt die Sünden alle. Er ist ja der Allvergebende und Barmherzige.“ (az-Zumar, 39/53)
Auch der Prophet Muhammed erinnert des Öfteren daran, dass Allah Allvergebend ist: „Wer, wenn er den Morgen oder den Abend erreicht, ‚Oh Allah, du bist mein Herr, es gibt keinen anderen Gott außer Dir, Du hast mich erschaffen und ich bin Dein Diener und ich werde meinem Versprechen nachgehen, solange meine Kraft ausreicht. Ich suche meine Zuflucht vor den Übeltaten, die ich beging, bei Dir, ich bekenne mich zu Deinen Gaben (die Du mir gabst) und zu meinen Sünden. Vergib mir. Denn den Sünden vergibst Du allein.‘ spricht und am Tag oder in der Nacht (dieses Tages) verstirbt, wird (zweifellos) in das Paradies eingehen.“ (Abu Dawud, Adab, 100, 101) Als Aischa (ra.), die Mutter der Muslime, ihn (saw.) in der Nacht der Bestimmung (Lailat al-Qadr) fragte, wie sie beten sollte, brachte er ihr und uns allen folgendes Bittgebet bei: „Oh Allah! Gewiss bist Du der Vergebende, Du liebst das Vergeben, vergebe mir.“ (Ibn Madscha, Dua, 5)

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