DIE GUTE MORAL IM ISLAM Buch

Dr. Bayram KÖSEOĞLU


abstrakt

Zwischen dem Glauben und dem Verhalten besteht ein enges Verhältnis. Wenn der Iman im weitesten Sinne als ein Versprechen an den Schöpfer verstanden wird, so erfordert der Glaube an den Schöpfer zugleich das Handeln und Verhalten gemäß Seinem Willen. Demnach ist auch der Besitz eines guten Ahlaqs eine Erfordernis des Glaubens.

Was ist Ahlaq?

Das aus dem Arabischen stammende Wort Ahlaq (auch Akhlaq geschrieben) ist die Pluralform des Wortes „Khulq/Khuluk“, welches Bedeutungen wie Religion, Beschaffenheit und Charakter trägt. Unter Beachtung des Wortes „Khalq“, das vom gleichen Wortstamm kommt und die Schöpfung/das äußere Erscheinungsbild des Menschen zum Ausdruck bringt, bezeichnet „Ahlaq“ das innere Erscheinungsbild und die Nafs1. (Ibn Manzur, Lisan al-`Arab, „hlk“; Çağrıcı, Mustafa, „Ahlak“, DIA) Der Prophet Muhammed (saw.)2 sprach in einem seiner Bittgebete: „Oh Allah! So wie du meine Schöpfung schön machtest, so verschönere auch meinen Ahlaq (Charakter).“ (Ibn Hanbal, I, 403) Sein diesbezügliches Bittgebet zeigt auf, dass der Ahlaq sowohl mit dem Innenleben als auch mit den Handlungen des Menschen zusammenhängt. 
Der Ahlaq wurde auf verschiedene Weisen definiert. Abdullah ibn Mubarak, einer der wertvollen Gelehrten, die Werke bezüglich Moralthemen verfassten, beschrieb den schönen/guten Ahlaq wie folgt: „Ahlaq bedeutet freundlich zu sein, Wohltaten zu verbreiten und Übeltaten zu verhindern.“ (Tirmidhi, Birr, 62) Eine der am meisten bevorzugten Beschreibungen ist hingegen folgende: Ahlaq „ist solch eine tief in der Nafs verankerte Eigenschaft/Fähigkeit, dass mithilfe dieser Eigenschaft die Taten ohne jeglichen Zwang und von sich aus in Erscheinung treten.“ (Ghazali, Ihya, III, 125)
In dieser Definition über den Ahlaq treten bestimmte Komponenten zum Vorschein. Zum einen, dass der Ahlaq sich in die Triebseele (Nafs) der Person festgewurzelt hat und regelrecht ihren Charakter formt. So, dass diese Eigenschaft, die Ahlaq genannt wird, zu einem unzertrennlichen Teil der Person wird. Zum anderen wird der Einfluss des Ahlaqs auf die Handlungen hervorgehoben. Die Handlungen und Taten der Person treten - dank des Ahlaqs, der zu ihrem Charakter wurde - automatisch und mit Leichtigkeit zum Vorschein. Somit führt der Ahlaq dazu, dass die Person ihre begangenen Taten ohne Zwang und mit Innigkeit vollführt. Dementsprechend zählt hinsichtlich des Ahlaqs/der Moral nicht nur die Tat, sondern auch mit welchem Ziel die Tat ausgeführt wird.
Handlungen, die unter Druck, aus Furcht oder aufgrund von Drohungen vollführt werden, können nicht als moralisch gewertet werden. Damit eine begangene Tat als moralisch bezeichnet werden kann, muss die Person sie aus eigenem Willen und frei ausgeführt haben. Aus diesem Grund werden Taten, die aus Angst vor dem Gesetz, den Eltern oder den Lehrern oder aufgrund von gesellschaftlichem Druck ausgeführt werden, nicht als ein Beispiel der guten Moral gesehen. Denn der Ahlaq ist keine vergängliche Gesinnung, sondern die Gesamtheit von Fähigkeiten, die sich in die Innenwelt des Menschen verankert und zu einem Teil seiner Persönlichkeit wird. Hält eine Person beispielsweise an einer roten Ampel an, weil auch alle anderen anhalten, und überquert die Straße bei Rot, wenn niemand anderes da ist, so wird ihr Anhalten an der Ampel bei Anwesenheit anderer nicht als ein moralisches Handeln bewertet. Denn diese Handlungsweise ist keine, die von dieser Person verinnerlicht wurde und zu ihrer Charaktereigenschaft wurde. Diese Person handelte bei der ersten Gelegenheit auf eine andere Art und Weise. Dies zeigt, dass das Anhalten bei einer roten Ampel eine Handlung ist, die aufgrund des gesellschaftlichen Druckes entstand. Wäre die Einhaltung von Verkehrsregeln im Charakter dieser Person verankert, so würde sie unter allen Umständen gleich handeln. 
Auch die Handlungsweisen von Personen, die eigentlich nicht hilfsbereit sind, aber für die Zurschaustellung anderen helfen, oder die in der Gesellschaft aufrichtig gegenüber den Muslimen handeln, Nicht-Muslime aber belügen, wird nicht als moralisch gewertet. Denn solche Verhaltensweisen sind ein Anzeichen der Heuchelei. Die Aussage Mawlanas „Erscheine, wie du bist oder sei, wie du erscheinst!“ deutet darauf hin, dass die Menschen so handeln sollten, wie sie von ihrem Charakter aus sind.


1 Nafs (auch Triebseele genannt) beschreibt den Kern des menschlichen Wesens und die Neigung gegenüber jeglichen üblen Begierden, die den Menschen von Allah entfernen.

2 (saw.) ist die Abkürzung für „Sallallahu alayhi wa sallam“ mit der Bedeutung „Friede und Gruß sei mit ihm“.

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